Irgendwas zwischen Stand-up-Comedy und den philosophischen Betrachtungen eines Underdogs ist das hier und es lässt mich nicht mehr los. Ich lese auf Norwegisch und bin mir gleich sicher: Dieses Buch muss seinen Weg auf den deutschen Markt finden. Vom ersten Moment an bin ich mir allerdings auch sicher, dass der Roman eine übersetzerische Herausforderung ist. Denn Mahmoud, der Ich-Erzähler des Romans, spricht ‚kebabnorsk‘, Jugendsprache, international. Er verdreht Sprichwörter, macht Fehler in einer Sprache, die nicht seine Muttersprache ist, macht passend, was für ihn nicht passt. Sprachspielerisch, wild, bunt und ziemlich politisch unkorrekt ist dieser Roman, geschrieben von einem, der’s wissen muss, denn der Autor Gulraiz Sharif hat hat selbst einen pakistanisch-norwegischen Hintergrund, ist außerdem Lehrer und hat täglich mit den Kids in Oslo zu tun.
Überraschungserfolg in Norwegen
In Norwegen wird „Ey, hör mal!“ 2020 der Überraschungserfolg des Jahres. „Das ist womöglich eine der modernsten, frechsten und unterhaltsamsten neuen Stimmen des diesjährigen Bücherherbsts“, schreibt die größte norwegische Zeitung Aftenposten. Gulraiz Sharif wandert von Talkshow zu Büchersendung zu nächster Talkshow und sitzt im Mai 2021 schließlich sogar bei Mette-Marit im Schloss. Im Youtube-Video (das es leider nur auf Norwegisch gibt) wirkt er etwas verloren und ziemlich stolz. Wenn man das Buch gelesen hat, ist das eine irrwitzige Szene, denn dort heißt es:
Ich schreib dieses Buch, weil norwegische Norweger auf so was abfahren. Die lieben es, wenn ein Ausländer, am besten noch ’n bisschen unterdrückter und ungeschliffener Diamant, so ein, zwei Bücher schreibt. Darüber, wie es »eigentlich« ist, dunklere Haut zu haben, über die ganzen Narben, allen Schmerz, alle Schwierigkeiten. Weil sie trauen sich halt nicht, direkt mit uns zu reden. Haben Schiss, dass wir ihnen die Handtasche wegreißen, wenn wir ihnen zu nahe kommen, Mann! Dann lieber ein Buch lesen, Bro. Mit genügend Abstand. Einer Tasse Tee daneben, in ’ne Decke gekuschelt. Sich dabei entspannen, weißte. So verstehn sie uns. Danach fühlen sie sich dann genau so, als wenn sie ’nen Doktortitel gemacht hätten, als wenn sie ihren Horizont erweitert hätten. Sie sehn die Welt durch ’ne ganz neue Brille, machen ’ne Flasche Wein auf, den niiicesten Au le Petif Chauteau Blauteau oder so ’n Scheiß, bio natürlich, näseln den Namen ganz französisch, laden Freunde und Freundinnen ein, diskutieren über das Buch. Dabei werfen sie mit so schwierigen Ausdrücken um sich. Was das Pathos des Protagonisten ist, bla bla bla!
Wer Norwegisch versteht, kann sich hier das Gespräch mit Mette-Marit anschauen.
Übersetzen im Team
Ich selbst sitze im Mai 2021 tatsächlich an der Übersetzung. Und zwar nicht allein. Noch im Herbst 2020 habe ich meine Lieblingskollegin Sarah Onkels gefragt, ob sie das Buch mit mir zusammen übersetzen möchte, denn so einer Herausforderung stellt man sich, finde ich, viel besser zu zweit!
Gemeinsam übersetzt haben wir zuvor noch nicht, aber ich habe im Verlagsauftrag schon eine von Sarahs Übersetzungen lektoriert und dabei haben wir festgestellt, dass es passt. Wir haben eine ähnliche Vorstellung davon, was eine gute Übersetzung ausmacht, werfen uns die kreativen Bälle zu und knacken gemeinsam die härtesten Sprachnüsse.
Jetzt, im Mai, ist die Rohübersetzung fast fertig und wir haben uns für ein langes Wochenende in der Zweitwohnung meiner Schwester eingeigelt, um am Ton zu feilen. Und das tun wir. Zehn, zwölf Stunden am Tag und über die ersten dreißig Seiten tatsächlich Satz für Satz. Wir brainstormen jugendsprachliche Pendants (was sagen die denn heute für ‚rennen‘, für etwas Cooles, für etwas total Blödes?), hören Gangster-Rapper auf YouTube und lesen uns die Textabschnitte immer wieder laut vor.
Sonntagmittag sind wir erschöpft, aber glücklich und zufrieden, denn die Arbeit am Roman ist auf einem guten Weg.
Auf Workshop-Reise
Einen Monat später bin ich zur Abwechslung doch noch einmal allein mit Gulraiz Sharifs Roman unterwegs: Auf zum Übersetzerhaus Looren in der Schweiz!
Dort habe ich mit der eingereichten Leseprobe einen der begehrten Plätze im Workshop „Über Kreuz – Übersetzung und Lektorat“ ergattert. Zwei Seminarleiter*innen, drei Übersetzerinnen und drei Lektorinnen arbeiten fünf Tage lang intensiv an den eingereichten Texten. Am Abend, bevor die Besprechung unserer Übersetzung auf der Agenda steht, sagt Workshopleiter Tobias Scheffel so nebenbei: „Also das mit der Jugendsprache in eurem Text … Das ist ja eine ganz schöne Fallhöhe.“
Es wird eine unruhige Nacht, in der ich mir, während ich mich von links nach rechts wälze, ausmale, wie unsere Übersetzung völlig durchfällt.
Natürlich passiert das nicht. Man lädt Übersetzerinnen nicht zu geförderten Workshops ein, um sie zur Schnecke zu machen. Alle finden unseren Text schon sehr gelungen, haben zu den Details der Ausgestaltung aber noch hilfreiche Anmerkungen. Und wir stellen in der Diskussion fest, dass Sarah und ich gar nicht so sehr mit jugendsprachlichen Ausdrücken und Slang gearbeitet haben, wie wir anfangs gedacht hatten, sondern vor allem Mündlichkeitsmarker gesetzt haben. Und das, so der Tenor der Gruppe, funktioniert gut.
Endspurt einer Übersetzung
Im Spätsommer wird es dann noch einmal kurz hektisch. Der Abgabetermin kommt irgendwie immer früher als gedacht, die Flutkatastrophe in NRW wirft uns zusätzlich im Zeitplan zurück. Sarah hat neben dem Übersetzen noch einen Brotjob zu bedienen, ich „mal eben“ ein altes Fachwerkhaus zu renovieren (was ohne Unterstützung der Schwiegereltern nie geklappt hätte). Letzte Fragen an den Autor gehen hin und her, Gulraiz schickt nicht nur Antworten, sondern gern auch Ermunterungen in dieser Form:
Hoffentlich wird das Buch ein Bestseller in Deutschland! Ich hab immer davon geträumt, dass mein Buch ins Deutsche übersetzt wird – und jetzt passiert’s! Man darf also wirklich Träume haben, auf gar keinen Fall darf man aufhören, welche zu haben, denn manchmal erfüllen sie sich. Mein Buch auf Deutsch, wow. Das ist mega. Passt auf euch auf. Ihr seid großartig. Ich steh am Rand und feuere euch an. Ihr seid voll korrekt, Schwestern!!! Peace and love and respect. Over and out. Macht nur so weiter mit euren guten Vibes, yeah!
Wir dürfen zwei Wochen in die Verlängerung gehen und daran schließt beinah nahtlos das – sehr gute, sehr unkomplizierte – Lektorat an. Nur in Bezug auf den Titel hätten wir uns etwas anderes gewünscht, aber, nun ja, nicht jeder Übersetzerinnenwunsch geht in Erfüllung. Kurz vor knapp bekommen wir noch das erste Sensitivity Reading unseres Lebens, denn der Roman ist nicht nur sprachlich besonders, sondern auch politisch ziemlich unkorrekt. Manches haben wir schon im Prozess des Übersetzens mit unserem Lektor besprochen und an deutsche Gepflogenheiten angepasst (die Norweger sind, man sollte es nicht glauben, in manchen Diskussionen unbedarfter als das deutschsprachige Publikum). Einige zusätzliche Stellen glätten wir, aber bei vielen sind wir uns als Dreierteam einig: Das muss drinbleiben!
Denn unser Ich-Erzähler Mahmoud teilt nach allen Seiten aus und wir finden, als Angehöriger einer Minderheit hat er ein gewisses Recht dazu. Sein Erfahrungshorizont ist außerdem der eines Schülers aus Oslo-Ost, der deutlich häufiger mit Vorurteilen aller Couleur in Berührung kommt als mit Universitätsdiskursen. Last but not least, basiert ein guter Teil des Witzes und der Frechheit dieses Romans auf solchen Stellen. Das beim Übersetzen plattzubügeln, würde ein anderes Buch daraus machen – und wir definieren unsere Aufgabe als Übersetzerinnen doch gerade darin, einem fremdsprachigen Autor eine Stimme im Deutschen zu geben.
Trotzdem empfinden wir es als großen Luxus, dass die potenziell diskriminierenden Stellen in einem eigenen Lesedurchgang überprüft werden und uns so einiges bewusst wird, das wir – trotz grundsätzlicher Sensibilität im Diversitätskontext – zuvor nicht im Blick hatten. An manchen Stellen reicht es tatsächlich, ein einzelnes Wort oder einen Artikel auszutauschen und das tun wir gern, wenn wir dadurch Diskriminierung verhindern.
"Ey hör mal!" in der Buchhandlung
Nachdem der Roman uns gut ein Jahr begleitet hat (oder wir ihn), geht das Buch im November 2021 in den Druck. Ein paar Monate später, im Januar 2022, haben wir beide längst andere Projekte auf den Schreibtischen. Aber die Freude über den Karton mit den Belegexemplaren ist riesig und nun sind wir sehr gespannt, wie es nach dem offiziellen Erscheinungstermin am 16. Februar 2022 weitergeht. Natürlich hoffen wir auf viel Interesse in Deutschland und darauf, dass Gulraiz‘ Traum vom Bestseller in Erfüllung geht!
Gulraiz Sharif
Ey hör mal!
Jugendroman ab 12
Aus dem Norwegischen von Meike Blatzheim und Sarah Onkels
Arctis 2022
208 Seiten, Hardcover: € 15,00
Du willst selbst das Übersetzen ausprobieren?
Dann schau unbedingt ins Programm des Nordkollegs Rendsburg! Jedes Jahr Anfang November leite ich dort die Skandinavische Übersetzerwerkstatt, in der alle, die eine skandinavische Sprache sprechen, ausprobieren können, wie man ein Buch übersetzt. Das Tolle: Wir bekommen Autor*innenbesuch aus Norwegen, können all unsere Fragen loswerden und organisieren an einem Abend eine Lesung aus unseren selbst übersetzten Texten.
6 Antworten
Wie spannend von diesem Übersetzungsprozess zu lesen! Mir scheint, dass das Übersetzen eines Jugendbuches von diesem Kaliber eine wahre Königsdisziplin sein muss 😉 Leider kenne ich keine Jugendlichen im entsprechenden Alter, aber vielleicht ist es ja auch was für Erwachsene?
Ist es, liebe Eva!
Danke, dass du den ganzen Prozess so aufgerollt hast. So ein Blick hinter die Kulissen ist sehr spannend – und wichtig finde ich, denn was und wer alles hinter einer guten Übersetzung steht, ist manchen Lesenden gar nicht klar, glaube ich.
Hallo,
nachdem wir uns gestern persönlich kennengelernt haben, habe ich heute in den Beitrag gelesen und im Anschluss sofort das Buch bestellt. Ich bin total gespannt, gerade weil mich das Thema Jugendsprache und die Sicht über meinen Tellerrand hinaus sehr beschäftigt.
Liebe Grüße
Sabine Steller
Oh, das freut mich sehr! Und ja, das Buch zeigt wirklich eine ganz eigene Perspektive.