Letztens habe ich mit einer Kollegin ein Jugendbuch übersetzt, das eine echte Herausforderung war (aber auch ein großer Spaß). Ein 15-jähriger Ich-Erzähler, der frei von der Leber weg erzählt, in seinen Worten, voller Slang und Jugendsprache. Um diesen besonderen Tonfall ins Deutsche zu bringen, habe ich unzählige Stunden recherchiert, die Sätze wieder und wieder auseinandergepflückt und mit meiner Kollegin diskutiert. Ischwör, Bruder, wir sind jetzt voll die Expertinnen! (Oder so.)
Beim Übersetzen arbeite ich mit dem, was der Originaltext vorgibt. Das ist einerseits einfacher als selbst zu schreiben, denn zumindest um den Inhalt muss ich mir keine Gedanken machen. Wenn es um Jugendsprache geht, ist es andererseits aber auch schwieriger. Ich brauche nämlich oft eine Entsprechung für genau dieses Wort – aber so, wie deutsche Jugendliche es sagen würden. Deshalb habe ich mich in den vergangenen Jahren viel mit der passenden Sprache im Jugendbuch beschäftigt und bin dabei auf einige Tricks und Kniffe gestoßen, die mir weiterhelfen. Wer weiß, vielleicht helfen sie dir auch dabei, dein Jugendbuch zu schreiben?
Voilá, hier sind sie.
Inhaltsverzeichnis
1. Für Jugendliche immer modern schreiben!
Zeitgemäße und moderne Sprache zu verwenden, ist die wichtigste Regel, wenn du Bücher für Jugendliche schreibst. Auf gar keinen Fall darf dein Roman altmodisch klingen. Für jüngere Autorinnen und Autoren ist das einfach, sie sind ja noch nah dran an den Jugendlichen. Je weiter sich dein Alter von dem deiner Zielgruppe entfernt, desto aufmerksamer solltest du sein. Erinnere dich immer wieder daran, für wen du deine Geschichte schreibst und überleg, wie Jugendliche etwas formulieren würden. Ein 17-Jähriger sagt nicht zum Beispiel nicht „Mobiltelefon“, sondern „Smartphone“ oder „Handy“ und ein Lehrer wird längst nicht mehr „Pauker“ genannt.
2. Umgangssprache statt Jugendsprache!
Klar, es gibt Texte, die brauchen Jugendsprache. Auch wenn dein Roman nicht in einem Einwandererviertel spielt wie die Übersetzung, von der ich oben erzählt habe, musst du ab und zu einen sprachlichen Marker setzen, der das Alter deiner Figuren zeigt oder das Milieu, in dem sie sich bewegen.
Trotzdem bringt Jugendsprache gleich zwei Probleme mit sich. Erstens verändert sie sich rasend schnell. Im schlimmsten Fall klingt dein Buch dann schon in wenigen Jahren wie aus der Zeit gefallen. Zweitens ist sie sehr spezifisch. Jugendliche in Berlin sprechen anders als Jugendliche in Bayern, ein 13-jähriger Hauptschüler klingt anders als eine 16-Jährige aus einer Akademikerfamilie. Wenn du diese Klaviatur beherrscht, kannst du mit bestimmten Ausdrücken viel über deine Figuren sagen. Aber es macht es auch doppelt schwer, den richtigen Ton zu treffen.
Zum Glück gibt es einen klugen Trick: Benutze häufiger Umgangssprache statt Jugendsprache! Die ist eng verwandt mit der Jugendsprache, verändert sich aber deutlich langsamer und ist nicht so milieuspezifisch. Orientiere dich einfach daran so, wie du sprechen würdest. Umgangssprachliche Redewendungen, schnoddrige Antworten und verkürzte Sätze („Is so.“ statt „Das ist so.“) sind im Jugendbuch erlaubt, zumindest im Dialog. Sie helfen dir, deinen Text locker klingen zu lassen. Selbst dann, wenn du kein einziges Wort „echte“ Jugendsprache benutzt.
3. Bieder dich nicht an!
Wer in die Pubertät kommt, für den sind die Freunde plötzlich wichtiger als die Familie oder andere Erwachsene. Abgrenzung gehört dazu und die passiert auch über die Sprache. Cringe? Lost? Mashalla? Dass Jugendsprache für Uneingeweihte fast wie eine Geheimsprache klingt, ist beabsichtigt. Erwachsene bitte draußen bleiben!
Du solltest deshalb dein Jugendbuch unbedingt authentisch schreiben. Großartig, wenn du dich auskennst und Jugendsprache so fließend wie deine Zielgruppe sprichst. Dann nutze das. Aber wenn du unsicher bist, lass es lieber oder recherchiere zumindest sehr genau. Nichts ist peinlicher, als wenn dein Roman anbiedernd rüberkommt. Cringe!
4. Weniger ist mehr!
Um Jugendliche sprachlich abzuholen, musst du nicht alle momentan angesagten Wörter in deinem Jugendbuch benutzen. Die Gefahr, dass das anbiedernd rüberkommt (Tipp 3), dein Buch zu schnell altert (Tipp 2) oder sich einfach nur anstrengend liest, ist sehr groß. Such dir besser einige wenige Marker für Jugendsprache, die du in deinem Text nutzt. Du kannst dir zum Beispiel zwei oder drei aktuelle Jugendwörter heraussuchen, die die Lieblingswörter deines Protagonisten werden. Oder du nutzt ab und zu Umgangssprache, um den Text aufzulockern. Auf keinen Fall solltest du übertreiben und zu viel Jugendsprache verwenden. Das macht deinen Roman unlesbar.
5. Frag die Zielgruppe!
Geh raus und hör zu, wie Jugendliche miteinander sprechen. Das geht zum Beispiel in der Fußgängerzone, in der U-Bahn oder auf einem Schulhof zur Pausenzeit. Schau dir Videos aktueller Youtuber an und notiere, welche Wörter sie benutzten und wie sie sprechen. Vielleicht hast du auch kleine Geschwister, Kinder oder Enkel im passenden Alter, die du belauschen und um Rat fragen kannst. Oder du hast Lust, ehrenamtlich mit Jugendlichen zu arbeiten, zum Beispiel in einem Jugendtreff. Der regelmäßige Kontakt zu Jugendlichen ist für Jugendbuchautoren und – autorinnen jedenfalls sehr hilfreich. Du wirst schon nach kurzer Zeit viel besser einschätzen können, wie Jugendliche „ticken“.
6. Finger weg von den 'Jugendwörtern des Jahres'!
Kennst du den Wettbewerb zum Jugendwort des Jahres, den der Langenscheidt Verlag veranstaltet? In den letzten Jahren gewannen dort so schöne Wortschöpfungen wie „fly sein“ oder „Smombie“. Aber Achtung: Jedes Jahr aufs Neue wird nicht nur ein Gewinner gewählt, sondern auch in schöner Regelmäßigkeit bezweifelt, ob die vom Verlag vorgeschlagenen Wörter wirklich von Jugendlichen benutzt werden. Abstimmen darf nämlich jede*r, unabhängig von seinem oder ihrem Alter.
Behandle die Liste also mit Vorsicht. Ich zumindest habe den Eindruck, dass es sich eher nicht um eine verlässliche Aufzählung handelt. Im Gegenteil, einige der Wörter klingen in meinen Ohren wie etwas, das Erwachsene für Jugendsprache halten.
7. Lies Jugendbücher!
Wie immer beim Schreibenlernen gilt auch beim Finden des richtigen Tons für dein Jugendbuch-Manuskript: Lies! Und finde heraus, wie andere Autorinnen und Autoren für Jugendliche schreiben. Was gefällt dir und was nicht? Warum?
Wolfgang Herrndorf schafft es zum Beispiel in Tschick, seinem Ich-Erzähler einen jugendlichen Ton zu verpassen, obwohl er fast keine Jugendsprache verwendet. Auch Bov Bjerg erzählt in Auerhaus ziemlich mündlich. Und in Echt von Christoph Scheuring kommen gleich zwei unterschiedliche Milieus vor: Das sehr bürgerliche des Ich-Erzählers Albert und das harte Straßenleben von Kati, in die Albert sich verliebt.
Und das sind nur drei von hunderten gut geschriebener Jugendromanen, deren Autorinnen und Autoren jeweils eine eigene Sprache für ihre Figuren gefunden haben. Also: Schau dich um, lies quer, lass dich inspirieren! (So hast du auch endlich einen guten Grund für den nächsten Besuch in der Buchhandlung deines Vertrauens.)
Jugendliche mit der richtigen Sprache abholen: Ohne Stress und Peinlichkeit
Wenn du diese Tipps beherzigst, kann nicht mehr viel schiefgehen. So bekommst du einen jugendlichen Ton hin und die richtige Sprache im Jugendbuch hin – wetten? Ohne riesigen Aufwand, ohne Peinlichkeiten und so, dass dein Buch auch in fünf oder zehn Jahren noch up to date klingt. Gar nicht so schwierig, oder?
Viel Spaß beim Jugendbücherlesen, Recherchieren und Ausprobieren! Wenn du Ratschläge hast, dir weiterer passende Buchtipps oder Fragen einfallen, freue ich mich über deinen Kommentar.
Und bis dahin: Schreib weiter!
Deine Textgefährtin Meike
PS: Du brauchst Unterstützung bei deinem Jugendbuch?
Ich helfe dir gern mit einem Lektorat deines Romans, Autorencoaching, einer Exposé-Beratung oder einem Manuskript-Gutachten.
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