„Schreiben Frauen anders?“ Für mich ist das eine provokante Frage, zu der ich fast mal ein Seminar gehalten hätte (das dann mangels Interesse leider abgesagt wurde). Und ich bin mir mit meiner ersten, spontanen Antwort relativ sicher: Nein, das tun sie nicht, nicht per se.
Allerdings warten im Hintergrund gleich mehrere Abers. Frauen und Männer sind auch heute noch unterschiedlich sozialisiert. Ich fände es toll, wenn diese Kluft in Zukunft immer kleiner würde, aber zumindest ich nehme sie immer wieder wahr. Und das heißt dann auch: Der Blick auf die Welt kann anders sein, je nachdem, ob ein Mann oder eine Frau schreibt. Die Themen, die die jeweilige Person interessieren, können andere sein.
Inhaltsverzeichnis
Vom Spagat lesender Frauen
Ein sehr schöner Artikel über die italienische Autorin Elena Ferrante in der Süddeutschen Zeitung stellt gleich zu Beginn die These in den Raum, dass Frauen, die lesen, beinahe so etwas wie trans seien: Sie denken sich in Männerköpfe und Männerfantasien, nehme eine männliche Haltung ein. Natürlich ist es Inbegriff der Schriftstellerei, sich in andere Leben hineinzuversetzen – ein Mann kann eine überzeugende weibliche Perspektive schreiben, eine Frau eine männliche. Doch immer noch viel zu häufiger lesen wir Bücher von Männern, die über Männer schreiben, die mit männlichem Blick auf Frauen blicken. Belege gefällig? Das Twitterprofil Men Write Women sammelt die irrwitzigsten Beispiele.
Literatur = Literatur von Männern
Auch die Annahme, Literatur sei männlich, beruht auf Sozialisation: Zu meiner Schulzeit stand (jenseits eines Jugendbuchs in der 6. Klasse) kein einziger Roman einer Autorin auf dem Lehrplan. In den Abiturvorgaben des Landes Nordrhein-Westfalens für 2022 hat sich nichts geändert: Neben einem Drama von Lessing sind zwei Romane gegenwärtiger, männlicher Autoren aufgeführt. In der Schule wird also nach wie vor vermittelt: „echte“ Literatur ist Männersache. Die Frauen dürfen gern die Unterhaltungssparte und vielleicht auch noch das Kinderbuch unter sich aufteilen.
Das Beitragsfoto: Für My white male bookshelf dreht man alle Bücher männlicher Autoren um (nach einer Idee von Tillmann Severin).
Nicole Seifert: Frauen Literatur
Das stellt auch Nicole Seifert in ihrem 2021 erschienenen Essay Frauenliteratur – Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt fest, der mich (unter anderem) zu diesem Beitrag inspiriert hat. Sie zeigt dort eindrucksvoll, wie abwertend der Begriff wahrgenommen wird: Es gibt Literatur und es gibt „Frauenliteratur“, „Männerliteratur“ gibt es in aller Regel nicht. Romane von Frauen werden übrigens auch seltener im Feuilleton besprochen als solche von Männern wie Nicole Seifert belegt. Und wenn sie besprochen werden, spielt die Person der Autorin manchmal eine größere Rolle als ihr Werk. Einige engagierte Autorinnen riefen deshalb 2019 die Twitteraktion #dichterdran ins Leben und berichteten so über männliche Autoren, wie sonst nur über Autorinnen geschrieben wird.
Ein weiteres interessantes Beispiel aus Nicole Seiferts Buch ist der Vergleich von Theodor Fontane mit Gabriele Reuter. Beide waren zu ihrer Zeit literarisch hochgeachtet und zugleich von den gewöhnlichen Bürger*innen gern gelesen. Theodor Fontane wird heute in den Schulen gelesen, Gabriele Reuter kennt kaum jemand mehr.
Das sind nur einige von vielen Rezeptionsgeschichten rund um das weibliche Schreiben, die Nicole Seifert in ihrem Buch erzählt – eine klare Leseempfehlung!
Frauen schreiben unter anderen Bedingungen
Vor der Rezeption von Frauen geschriebener Literatur steht deren Produktion. Und spätestens da kommen wir an einen Punkt, an dem sich weibliches Schreiben oft noch sehr von männlichen unterscheidet. Frauen sind Mütter – natürlich längst nicht alle, aber doch viele. Als solche übernehmen sie oft den Großteil der Care-Arbeit und haben entsprechend weniger konzentrierte Schreibzeit zur Verfügung. Und selbst wenn sie am Schreibtisch sitzen, laufen die organisatorischen Prozesse im Hinterkopf weiter: Denkt der Mann daran, die Kinder rechtzeitig abzuholen? Ist eigentlich noch Käse da? Und was schenken wir der Schwiegermutter zum Geburtstag?
Schon Virginia Wolf wünschte sich Ein Zimmer für sich allein und auch wenn die meisten professionellen Autorinnen heute dieses Zimmer haben mögen, Raum im Kopf haben sie längst nicht immer. Vor einiger Zeit haben sich gleich zwei sehr interessante Plattformen rund um Autor*innenschaft und Elternschaft gegründet. Da ist zum einen Writing with Care/Rage, eine Website die Essays rund ums Thema versammelt und 2021 erstmals eine Konferenz dazu organsiert hat. Und dann gibt es noch other writers need to concentrate – der Name der Website rührt daher, dass eine Autorin einmal diese Begründung zugesandt bekam, als sie danach fragte, ob sie ihr Kind zu einem Stipendienaufenthalt mitbringen dürfe. Denn auch das ist ein Thema: Die wenigsten Autor*innen, die in Deutschland vom Schreiben leben, leben von ihren Buchverkäufen. Einen mindestens ebenso großen Anteil am Einkommen haben Honorare für Lesungen und Stipendiengelder, die allerdings häufig an Aufenthalte an einem bestimmten Ort, zum Beispiel als Stadtschreiber*in geknüpft sind. Wie aber soll ein Mensch mit Kind das organisieren, wenn Kinder erstens normalerweise nicht mitgebracht werden dürfen und zweitens, falls sie mitreisen dürfen, die Betreuung nicht gewährleistet ist? Diesen Fragen geht das Bündnis nach und führt unter anderem eine Liste derjenigen Aufenthaltsstipendien, die familienfreundlich sind (Spoiler: es sind verdammt wenige).
Ilka Piepgras: Schreibtisch mit Aussicht
Großartig zum Thema weibliches Schreiben ist schließlich der Sammelband Schreibtisch mit Aussicht, herausgegeben von Ilka Piepgras. Über 20 Autorinnen erzählen darin von ihrem Schreiben. Einige von ihnen wie Anne Tyler und, für die jüngere Generation, Antonia Baum sprechen von den oben skizzierten Herausforderungen: Wann und wie schreibe ich eigentlich, wenn ich „nebenher“ ein Kind oder eine Familie zu versorgen habe? Andere wie Eva Menasse erzählen von ihrem Schreibprozess, ihrer Vorgehensweise beim Schreiben und den für sie typischen Abläufen. Und wieder andere bringen weitere Themen ein, zum Beispiel Kathryn Chetkovich, die vom Leben an der Seite eines berühmten Schriftstellers (Jonathan Franzen) berichtet. Eine spannende, vielfältige Sammlung von Sichtweisen für alle Schreibenden, ob sie nun Autorinnen oder Autoren sind! Nicole Seifert hat Ilka Piepgras übrigens für ihren Blog interviewt – auch das ist lesenswert.
Und nun? Schreiben Frauen anders?
Schreiben Frauen denn nun anders? Aus meinen klaren Nein zu Beginn dieses Artikels wird ein zögerliches Jein. Nein, ich glaube nicht daran, dass Frauen per se anders schreiben. Niemand schreibt qua Geschlecht ausschweifender oder emotionaler, genauso wenig härter oder klarer. Dieses Vorurteil darfst du gern über Bord werfen! Aber natürlich macht die Sozialisation etwas mit uns. Welche Bücher jemand als Kind oder Jugendliche*r geliebt hat, kann das eigene Schreiben unter Umständen beeinflussen. Vor allem aber sind die Bedingungen, unter denen geschrieben wird, für Frauen und Männer oft noch immer unterschiedlich. Dass sich das auch in den Texten selbst niederschlägt, sei es durch die gewählte Form (kürzere Formen, weil die Zeit für Längeres nicht ausreicht) oder in den Themen (die von männlichen Literaturkritikern dann gern als „Frauenthemen abgetan werden), da bin ich mir sicher.
Wie schreibst du?
Und du, wie schreibst du? Wo schreibst du und wie viel Zeit steht dir zu Verfügung? Welche Herausforderungen fürs Schreiben führt dein Alltag mit sich? Schreib mir das gern in die Kommentare oder schick mir eine E-Mail. Und wenn du mal darüber nachdenken möchtest, weshalb du überhaupt schreibst, schau dir meine Blogparade #schreibwarum an.
Schreib weiter!
Deine Textgefährtin Meike
2 Antworten
Herzlichen Dank für diesen wunderbaren Blogbeitrag zum Thema „Schreiben Frauen anders?“.
Den Ausführungen zu den Schreibbedingungen kann ich voll und ganz zustimmen. Ich bin Mitglied in einem Arbeitskreis von Autorinnen und Autoren, in dem ich von männlicher Seite schon des Öfteren auf Unverständnis hinsichtlich meiner knapp bemessenen Schreibzeit gestoßen bin. Mir scheint, sogar die männlichen Autoren, die selbst Familienväter und teilweise voll berufstätig sind, können sich nicht in meine „weiblich sozialisierte“ Lage versetzen. Was schade ist, denn gerade das tun Autoren beim Entwickeln ihrer Figuren schließlich auch.
Als dreifache Mutter und Ehefrau eines Mannes mit Sieben-Tage-Woche-Amt denke ich immer für die Familie mit. Und ich bin nicht nur Mutter und Frau, sondern zusätzlich noch „behindert“. Eine fortschreitende Augenerkrankung, die bis zur völligen Erblindung führen kann, fordert mich zusätzlich heraus und beansprucht Zeit und Vorausplanung. Und auch sie erschwert es, eventuell einmal Lesungen abzuhalten. Beispielsweise ist es mir seit Jahren nicht mehr möglich, Gedrucktes mit den Augen zu lesen. Zwar habe ich mir im Selbststudium vor etwa fünf Jahren die Brailleschrift angeeignet, lese jedoch viel zu langsam. (Und müsste obendrein alles, was ich vorlesen möchte, zunächst in Punktschrift ausdrucken lassen, was eine Planbarkeit erheblich einschränkt.)
Von der Schriftstellerin Gabriele Reuther habe ich vor diesem Beitrag noch nie gehört. Auch in meiner Schulzeit lasen wir Männerliteratur. Schade! So ist uns sicher einiges entgangen.
Liebe Bettina!
Vielen Dank für deinen ausführlichen und fundierten Kommentar. Ja, ich kann mir vorstellen, dass es bei so vielen anderen Verpflichtungen nicht einfach ist, genügend Zeit zum Schreiben zu finden. Umso großartiger finde ich es, dass du offensichtlich dranbleibst. Schreib und lies unbedingt weiter. Und falls der Termin für dich passt, schau doch mal bei meinem Online-Schreibtreff „Betreutes Schreiben“ vorbei, denn auch das kann ein guter Anlass sein, sich mal für anderthalb Stunden „freizuschaufeln“.
Viele Grüße
Meike